vom 27.2.2010

Ein lebendes Lexikon: Bernhard Zerr über Kollege Lutz Wagner (rechts).
Ein lebendes Lexikon: Bernhard Zerr über Kollege Lutz Wagner (rechts). Foto: Borscheid

"Gelb muss drei Sekunden in der Luft sein"
Bundesliga-Schiedsrichter Lutz Wagner gibt Einblicke in die hohe Kunst des Pfeifens / Kurzweiliger Vortrag

Von Heiko Borscheid
Lutz Wagner ist 46 Jahre alt und steht vor seiner letzten Rückrunde in der Fußball-Bundesliga. Wenn der erfahrene Schiedsrichter an seinem kommenden Geburtstag im Mai die vorgeschriebene und zweifelhafte Altersgrenze erreicht, geht erneut ein Sympathieträger des deutschen Schiedsrichterwesens in den unfreiwilligen Ruhestand.

Am Mittwochabend war der hessische Verbandslehrwart zu Gast bei seinem ehemaligen Bundesligakollegen und jetzigem Obmann der Schiedsrichtervereinigung Baden-Baden, Bernhard Zerr. In der vollbesetzten Leiberstunger Festhalle zelebrierte der eingefleischte Hesse einen Lehrabend, der den Schiedsrichtern des hiesigen Bezirkes sicherlich noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Wie sich zeigen sollte, bezeichnete Bernhard Zerr seinen Kollegen nicht umsonst als "lebendes Lexikon".

Lutz Wagner schaffte es, mit seiner Erfahrung von 102 Zweit- und 192 Erstligaspielen Spielsituationen und daraus resultierendes Verhalten aller Beteiligten treffend und humorvoll zu veranschaulichen. "Ich bin Schiedsrichter mit Begeisterung" sagte er gleich zu Beginn seines Vortrages. "Wer nur pfeift, um das Soll seines Vereines zu erfüllen, wird keinen Erfolg haben. Jeder einzelne muss gerne hierher kommen."

In seinem fast eineinhalbstündigen Referat nahm zum Beispiel die Sonderstellung des Torwartes einen größeren Teil ein. Wie er einen Keeper dazu bringt, den Ball innerhalb der vorgeschriebenen Zeit abzuschlagen, gab er nicht nur den 38 neuen Jungschiedsrichtern mit auf den Weg: "Du, die Kugel ist heiß, ich würde sie beim nächsten Mal früher abschlagen", sei ein möglicher Hinweis an den Schlussmann.

Einen Trainer, der ihm zu aufgeregt an der Seitenlinie agiert, bekommt er mit den Worten "Ich glaube Sie sind müde, setzen Sie sich doch etwas hin" wieder zur Raison. Und einem Spieler, den er mit einer Vorteilssituation zum Weiterspielen verholfen hat, sagt er: "Bist ein guter Kicker, du wirst geschützt." Auf diese lockere Art brachte Wagner einige wichtige Situationen nachhaltig an den Mann.

Die Signalwirkung, die ein Schiedsrichter auf das gesamte Umfeld und den weiteren Verlauf einer Partie hat, versuchte er immer wieder zu verdeutlichen. "Einen guten Schiedsrichter erkennt man unter anderem auch daran, wie er eine Fehlentscheidung verkauft", sagte der dienstälteste Bundesligaschiedsrichter. Wagner ist auch der Meinung, dass die glatzköpfige Schiri-Legende Pierluigi Collina aus Italien nicht einmal annähernd so regelsicher wie beispielsweise Markus Merk war, durch sein Auftreten aber viel schneller Anerkennung als sein deutscher Kollege fand. "Eine Gelbe Karte muss drei Sekunden in der Luft sein", gab er den Anwesenden beispielsweise mit auf den Weg. "Jeder im Stadion muss sehen, was hier gerade los ist." Außerdem spielen Kommunikation und Fingerspitzengefühl eine große Rolle. Wagner sagte auch in Richtung Jungschiedsrichter, die er immer wieder in seinen Vortrag durch Fragen integrierte, dass sie aufgrund fehlender Autorität einfach dazu verdammt seien, mehr Karten als ein "alter Hase" zu zeigen.

Anhand mehrerer Spielsituationen der EM 2008 erläuterte Wagner richtige und falsche Entscheidungen. Seine Interpretationen über strittige Abseitssituationen, persönliche Strafen oder auch die Erläuterung, wann eigentlich eine Nachspielzeit angebracht ist, sorgten für bleibende Erkenntnisse bei den Teilnehmern. Ganz nebenbei tat Wagner auch seine Meinung zum immer wieder geforderten Profi-Schiedsrichter kund ("Hierbei fielen 80 000 Bewerbungen auf 20 Stellen, das kann nicht gut gehen"). Und zur möglichen Nachfolge von DFB-Lehrwart Eugen Striegel sagte er: "Ich arbeite gerne und bin daher dieser Herausforderung nicht abgeneigt."

Zum Abschluss eines denkwürdigen und höchst informativen Lehrabends wünschte Obmann Bernhard Zerr seinem Kollegen, dass er die 200er-Marke in der verbleibenden Bundesliga-Rückrunde erreicht und verabschiedete den Hessen mit einer guten Flasche Wein, auf die sich Lutz Wagner schon den ganzen Abend gefreut hat.