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Vom 18.5.2020
 
Festspektakel auf 2021 verschoben
700 Jahre Leiberstung / Blick in die Geschichte
 
bt110520Die Festreiter führen den alljährlichen Wendelinusritt an, zahlreiche Reiter und Pferdekutschen nehmen jeweils daran teil. In diesem Jahr wird er ausfallen. Fotos: Nickweiler
 
Von Christina Nickweiler
Sinzheim – Vor 700 Jahren wurde Leiberstung zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Einen großen Festumzug mit mehr als 90 Gruppen hätte es Anfang Juli geben sollen, aber nun haben sich die Organisatoren, allen voran Ortsvorsteher Josef Rees, dazu entschlossen, das Festspektakel auf nächstes Jahr zu verschieben.
 
Ebenso wird wegen der Corona-Epidemie der Wendelinusritt im Oktober abgesagt. Hierüber informierte Rees auf Anfrage des BT. Für das Jubiläum waren laut Ortsvorsteher bereits sämtliche Verträge abgeschlossen und das Programm für den Festsonntag bis ins Detail geplant gewesen. Über die Entscheidung sei der Ortschaftsrat verständigt worden, auch habe es Rücksprache mit Sinzheims Bürgermeister Erik Ernst gegeben. „Wir sehen leider keine andere Möglichkeit. Wir werden nächstes Jahr feiern“, kündigte Rees an.
 
Wer sich mit der Entwicklung des Ortes Leiberstung beschäftigt, der stellt fest, dass drei Merkmale das Dorf seit jeher prägen: seine Geschichte, die bis in das Spätmittelalter zurückgeht, der landwirtschaftlich geprägte Charakter, der alljährlich beim Wendelinusritt in den Mittelpunkt gerückt wird, und die Dorfentwicklung, die Leiberstung seit den 1970er Jahren als Wohnort nach vorne gebracht hat.
 
Die Pergamenturkunde, in der Leiberstung zum ersten Mal erwähnt wird, lagert im Generallandesarchiv Karlsruhe und gehört zum Bestand des Klosters Lichtenthal. Auf dem Schriftstück, das mit dem 5. Juni 1320 datiert ist, wird neben anderen Orten „Leiboltzdung“ im Zuge der Stiftung des bischöflichen Hofgerichts zu Straßburg genannt. Mit der Urkunde werden dem Kirchspiel Steinbach die Einnahmen durch Güter, Zinsen und Zehnten zugesprochen.
 
Die Beziehungen zu Steinbach waren bis zum Ende des Alten Reiches im Jahre 1806 nicht nur herrschaftlicher, sondern auch kommunaler Natur. Hiervon zeugt laut der 2002 veröffentlichten Kreisbeschreibung eine Verpflichtung aus dem 16. Jahrhundert, das Steinbacher Rathaus mit Brennholz zu versorgen.
 
Den Ortsnamen Leiberstung führt der Bühler Geistliche und Heimatforscher Karl Reinfried (1842-1917) auf eine Person namens Leibold zurück, wobei „Tung“ eine Erhöhung, eine „Sandinsel“ bedeuten würde. Im Mittelhochdeutschen stand der Begriff „Sand“ zudem für Kies. Mitte des 14. Jahrhunderts belehnte Markgraf Bernhard von Baden als Grundherr seinen Edelknecht Hanns von Bach nach dem Tode dessen Vaters mit einem Dreiviertel von Leiberstung. Das heißt, die Bachs standen im Dienste des Markgrafen.
 
Die Freiherren residierten im Schloss Neuweier und übten in Leiberstung als niedere Obrigkeit die Herrschaftsgewalt über die Untertanen unter anderem in Bezug auf Weiderechte und Rechtsprechung aus. Im Lebensalltag der Menschen bedeutete dies, dass die Hörigen dem Grundherren die Feldfrüchte abgeben mussten. Auch wurden sie zur Arbeit direkt für den Feudalherrn in den Wäldern herangezogen. Sieben Holzstämme und zwei Stämme für einen Giebel wurden einem Leiberstunger für einen Holzbau zugestanden. „In der Grubhurst dürfen die Einwohner Brennholz fällen“, hielt einst Karl Reinfried fest.
 
Zudem erfolgte eine Bevölkerungskontrolle, da Bauern eines Fronhofes den Grundherrn um Erlaubnis bitten mussten zu heiraten. Dem Gesinde auf den Höfen war eine Heirat ohnehin untersagt. Laut Kreisbeschreibung muss es sich bei dem 1471 erwähnten „Regenolt Diebolts Hof“ wohl um solch einen Fronhof gehandelt haben.
 
Ein Viertel von Leiberstung gehörte den Grafen von Bosenstein, die im Dienste des Grafen von Eberstein standen. Erst 1464 entschied ein badisches Manngericht (von der Leibeigenschaft befreite Bürger), den Freiherren von Bach das gesamte Lehen zuzusprechen. Im Gemeindewald befand sich zu Bachschen Zeiten auch die „Tiefburg“ (Wasserschloss), deren frühere Existenz jedes Jahr beim Wendelinusumzug den Zuschauern als Modell in Erinnerung gerufen wird.
 
bt180520bNoch heute zeugt das Wappen von der Bachschen Herrschaft. Karl Reinfried schrieb 1912 in seinem Beitrag „zur Heimatkunde Leiberstung“: „Das Wappen der Ortenauschen Herren von Bach war ein gewundenes, geferbtes Widderhorn. Aus Mißverständniß wurde später aus dem Widderhorn ein Halbmond, wie ein solcher jetzt im Gemeindesiegel zu sehen ist.“
 
Erst nachdem die Bachsche Linie ausgestorben war, fiel 1538 Leiberstung an den Markgrafen von Baden zurück und 1540 an die Baden-Badener Linie der Markgrafen.
 
Noch im 16. bis ins 18. Jahrhundert lieferten die Leiberstunger Untertanen Abgaben an das Untere Schloss in Neuweier sowie an geistliche Institutionen in Steinbach, das Kloster Schwarzach und die Jesuiten in Baden-Baden. Dementsprechend gehörte Leiberstung bis Ende des 16. Jahrhunderts zur Pfarrei Steinbach und kurze Zeit zum Kirchspiel Sinzheim. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts standen die Leiberstunger unter der pastoralen Obhut der Pfarrei Schwarzach.
 
In den Quellen wird eine hölzerne Kapelle genannt, die im Zuge des pfälzisch-orléansschen Erbfolgekrieges mit einem Teil des Dorfes abbrannte. 1727 ist der Bau einer Steinkapelle in Leiberstung erwähnt. Mit Unterstützung des Amtes Steinbach und des Abtsstab Schwarzach entstand 1775 ein Neubau der Kirche.
 
Mehr als hundert Jahre später wurde die Kirche erweitert. „Von den drei Glocken wurde die größte (6 Centner) im Jahre 1853 von Franziska Friedmann mit 600 Gulden gestiftet. Sie soll jeweils am Todestag der Stifterin geläutet werden“, zitiert Karl Reinfried die Kirchenbücher. Eine zwei Zentner schwere Glocke ist mit dem Patron der Gemeinde, dem Heiligen Wendelinus, versehen. Überhaupt waren die Leiberstunger bis ins 20. Jahrhundert stark im katholischen Milieu verwurzelt.
 
Viele wanderten nach Amerika aus
 
Konsequenterweise blieb in der Zeit der Weimarer Republik die Zentrumspartei die vorwiegend politische Kraft im Dorf. Der nationalsozialistischen Diktatur hätten die der Kirche verbundenen Bürger ablehnend gegenüber gestanden, geht aus der Kreisbeschreibung hervor.
 
Um 1800 lebten laut Kreisbeschreibung 164 Personen in Leiberstung. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung zwar an. Allerdings war seit den 1850er Jahren auch Leiberstung von der Auswanderungswelle nach Amerika betroffen. In dem mit rund 530 Hektar landwirtschaftlich geprägten Landstrich hielt sich bis in die 1970er Jahre die Einwohnerzahl mit rund 650 Personen konstant.
 
Anfang Oktober 1957 kündigte das BT das Wendelinusfest mit Prozession und Pferdesegnung an. Der Wendelinusritt, an dem zahlreiche Reiter und Pferdekutschen aus der gesamten Region teilnehmen, fand erstmals 1966 statt. Das alljährliche Spektakel ist bis heute das einzige seiner Art in der Region. Daher lassen sich Politiker und sonstige Honoratioren immer gerne bei dem Umzug sehen.
 
Zwar wurde Leiberstung 1973 zu Sinzheim eingemeindet, dennoch hat der Ort durch Schule, Kindergarten und Ortsverwaltung sein dörfliches Eigenleben bewahren können. In der Bevölkerung herrschte schon immer ein starker Wille, Maßnahmen für den Ort gemeinschaftlich anzupacken. So sammelten die Einwohner Geld, um beispielsweise Spielplätze einzurichten. Vor mehr als einer Dekade gründeten die Bürger einen Dorfladen, um die Nahversorgung für die Menschen vor Ort zu sichern. 2019 zog der Dorfladen in das neue Domizil im Rathausgebäude. Das Projekt, bei dem die Bürger Anteile am Dorfladen erwerben können, ist beispielgebend.
 
Ab 1974 durchlief Leiberstung eine enorme Entwicklung. Der Grund: der im zweijährigen Rhythmus ausgelobte Preis zur Dorfverschönerung. Die Bevölkerung legte sich mit ortsverschönernden Maßnahmen ordentlich ins Zeug. So rangierte Leiberstung in den 1980er und 1990er Jahren bei „Unser Dorf soll schöner werden“ immer auf den vorderen Plätzen. 1995 gab es eine Silbermedaille, 1999 wurde Leiberstung zur schönsten Gemeinde in der Rheinebene gekürt.
 
bt180520cDer Dorfladen in Leiberstung, der in der Ortsverwaltung untergebracht ist, steht für die Eigeninitiative der Leiberstunger Bürger.