abblogok
vom 3.7.2002
 
Leiberstunger Kinder lernen in Präventionskurs das Neinsagen / Eltern bei Nachbereitung gefordert / Schwieriges Terrain
"Selbstbewustsein schützt vor Missbrauch"
 

bt030702aTrainerin Pascale Volk übt mit den Kindern aus Leiberstung Techniken der Selbstverteidigung.       Fotos: Adam

 
Leiberstung (so) — "Nein, nein, nein. Ich will keinen Kuss", schreit Lea. Und schon rennt sie davon, so schnell die Füße sie tragen. Im Ernstfall muss das nächste Haus oder ein Laden das Ziel sein, erklärt Trainerin Pascale Volk den Leiberstunger Kindern. In dem Kurs, der in der Grundschule stattfindet, geht es darum, die Kinder stark und selbstbewusst zu machen — und sie so vor sexuellem Missbrauch zu schützen.
 
"Jedes Kind hat das Recht, nein zu sagen - auch gegenüber Erwachsenen", schärft Pascale Volk den acht Leiberstunger Dritt- und Viertklässlern ein, die sich für den WSD-Kurs angemeldet haben. Innerhalb von sechs Wochen sollen nach dem bundesweiten Women-SeIf-Defence-Konzept (Frauenselbstverteidigungskonzept) die Kinder stark und selbstbewusst werden. Doch nicht nur das: Pascale Volk, Balletttrainerin, WSD-Trainerin und Mutter eines vierjährigen Sohnes, lehrt den Kids auch Box- und Schlagtechniken. "Die dürft ihr aber nur im Ernstfall anwenden. Nicht bei der Keilerei auf dem Pausenhof oder wenn euch jemand ärgert." Mit ernster Mine geben die Leiberstunger Kinder ihr Ehrenwort.
 
Dann geht’s los: Heftige Stöße mit dem Knie, Fußtritte, ElIbogenstöße und Box-Haken werden geprobt. Zuerst schlagen die Kids nur in die Luft, dann versuchen sie sich an der Pratze. "Ihr dürft richtig draufhauen. Mir tut das nicht weh", ermuntert die Trainerin einige Schüchterne.
 

bt030702
"Ihr dürft richtig draufhauen": Pascale Volk setzt sich ein.

 
Das Terrain, auf das sich Volk wagt, ist äußerst schwierig. Immerhin seien 90 Prozent aller Sexualstraftäter den Kindern gut vertraut. Die Übergriffe geschähen meist nicht plötzlich, sondern sie entwickelten sich. Zum einen müssen die Kids deshalb lernen, sich zu verteidigen. Andererseits müssen sie auch einsehen, dass die Eltern trotzdem das Sagen haben. Deshalb sollte das Gelernte zu Hause - mit Unterstützung der Eltern - nachbereitet werden. Die Kinder bekommen Hausaufgaben.
 
Mal müssen sie in ihrer Freizeit probieren, wie sie wirken, wenn sie aufrecht auf jemand zugehen - oder in gebückter Haltung. Dann händigt Pascale Volk den Acht- bis Zehnjährigen einen Fragebogen aus, auf dem Situationen geschildert werden, in denen die Kids selbst entscheiden müssen, ob sie ein "Nein" durchsetzen dürfen oder nicht. ,,Wenn es darum geht. dass ihr keine Lust auf Zähneputzen habt, ist ein Nein nicht richtig", so Volk, "denn das würde der Gesundheit schaden." Andererseits dürften die Kleinen sich durchaus gegen das obligatorische Küsschen der Großeltern wehren.
 
"Erwachsene müssen den Persönlichkeitsbereich des Kindes respektieren", erklärt die Trainerin. Außerdem sei es wichtig, mit den Kindern ein enges Vertrauensverhältnis aufzubauen. "Die Kinder müssen das Gefühl haben, dass die Eltern immer ansprechbar sind", so Volk "Was seid ihr für eure Eltern?" fragt sie in die Runde. Und unisono tönt es zurück: "Der größte Schatz."
 
Natürlich gehört auch der altersgerechte Umgang mit der Sexualität zu den wichtigen Voraussetzungen, um Schaden im Vorfeld zu verhindern, erklärt Volk das Konzept. Die Leiberstunger Kinder lernen ihre Lektionen schnell. Schon nach zwei Stunden ist bei den Schüchternen ein deutlich gesteigertes Selbstbewusstsein zu bemerken. Zum Glück hat noch kein Kind, das am Kurs teilnimmt, schlechte Erfahrungen machen müssen. Es gab schon Kurse, in denen das der Fall war, berichtet die Trainerin aus eigener Erfahrung.
 
"In einem Kurs war einmal ein Junge, der bereits von einem Mann angesprochen wurde. Doch zu mehr kam es zum Glück nicht, erinnert sich die WSD-Trainerin. Allerdings hatte sich der Bub das Geschehene sehr zu Herzen genommen. Ihm gab der Kurs ein Stück Selbstbewusstsein, das vor Missbrauch schützen kann, zurück", freut sich die Expertin und probt mit den Kids weiter das Neinsagen. "Nein, nein, nein - ich bin stark". rufen die Kids wie zur Bestätigung.